Tagungsbericht „Familienbildung mit Spendersamen“ Teil 3 (Interviews II)

Interview mit Andrea Buschner (ehemals Dürnberger) , Diplomsoziologin, maßgeblich an der ersten Studie zu Kindern aus Regenbogenfamilien aus dem Jahr 2009 beteiligt.

RFN: Was ist seit Erscheinen der Studie geschehen?
Es gab viele Reaktionen auf die Studie. Die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen ist sicher gestiegen und ich hoffe, dass die noch bestehenden Diskriminierungen bald Vergangenheit sind.
Ganz konkret arbeiten wir derzeit an der englischen Übersetzung der Studie. Wir wollen gerne einem breiten internationalen Publikum Auskopplungen in englischer Sprache anbieten.

RFN: Werden Sie noch oft als Referentin angefragt?
Ja, ich werde oft für Vorträge angefragt, die sich mit dem Kindeswohl beschäftigen. Hauptsächlich sind es Juristen, die sich dafür interessieren, denn es war ja eine rechtstatsächliche Studie. Aber auch Fachkräfte aus der Familienberatung interessieren sich für die Thematik, die Beteiligten sind meist quer durch alle Professionen verteilt.

RFN: Hat sich die Stimmung seit Erscheinen der Studie verändert?
Ich kann da eine Wellenbewegung erkennen. Immer wenn es mal wieder eine gerichtliche Entscheidung gab, kocht das Thema sehr hoch. Allgemein sind gleichgeschlechtliche Lebensweisen sehr breit akzeptiert, aber wenn es um Kinder geht, trennt sich die Spreu vom Weizen und viele melden Bedenken an. Wenn das Thema medial präsent ist, dann diskutieren die Leute, aber dann ist es auch wieder ganz schnell weg. Grundsätzlich merke ich, dass diese Familienform immer weniger spektakulär empfunden wird.

RFN: Glauben Sie, dass die Studie auch einen Teil dazu beigetragen hat?
Ja, klar. Es gibt natürlich bei jeder Studie Kritiker, aber wir haben den Vorteil, dass die Studie so breit angelegt war. Dadurch haben sich auch Leute damit befasst, die sich vorher noch keine Meinung dazu gebildet haben.

RFN: Was sagen Sie denn zu der Zahl von 6.000 Regenbogenfamilien, die es angeblich in Deutschland geben soll?
Nun, diese Zahlen werden über den Mikrozensus hochgerechnet. Die Teilnahme dabei ist zwar verpflichtend, aber natürlich kann man bei bestimmten Fragen, nämlich welches Geschlecht die Person hat, mit der man zusammenlebt oder ob man verheiratet oder verpartnert ist, auch lügen. Oder man sagt gar nichts. Es ist klar, dass es viel mehr gleichgeschlechtliche Familien gibt, ganz sicher im fünfstelligen Bereich. Allein wir haben ja schon mit über tausend Eltern gesprochen.

RFN: Welche Möglichkeiten sehen Sie, mittelfristig zu gesicherten Zahlen zu kommen?
Es ist schwierig ohne amtliche Statistik. Vieles wird nicht festgehalten. Wir können z.B. nicht herausfinden, in wie vielen Lebenspartnerschaften Kinder aufwachsen. Und das ist ja auch nur ein geringer Teil, denn viele Paare sind ja nicht verpartnert. Und bei vielen Familienkonstellationen gibt es keine Eintragung mit Stiefkindadoption, denn das betrifft ja zum Großteil nur die Kinder, die in die Beziehung hinein geboren wurden. Aber für die Kinder aus heterosexuellen Beziehungen passt das gar nicht. Auf lange Sicht ist es leider ganz schwierig, gesicherte Zahlen zu bekommen. Dennoch ist ein Punkt zentral: Auch wenn es nur 6.000 Familien wären, ist das kein Grund, sie zu benachteiligen.

RFN: Was haben Sie weiter mit der Studie vor?
Neben der vorhin erwähnten englischen Übersetzung arbeiten wir weiterhin an der Auswertung der unendlich vielen spannenden Daten, die wir durch die Studie erhalten haben. Da geht es um Fragen, ob die Eltern Diskriminierung erfahren haben oder welchen Weg die Familie gewählt hat, um zum Kind zu kommen. Wir haben ja auch noch eine Folgeuntersuchung durchgeführt und zwar zu homosexuellen Paaren, die noch keine Kinder haben oder deren Kinder außerhalb des Haushalts leben. Aus verschiedenen Gründen konnten wir z.B. die schwulen Väter, deren Kinder nicht bei ihnen leben, in der ersten Studie gar nicht miteinbeziehen.

RFN: Was nehmen Sie von der Tagung mit?
Mir hat das Symposium sehr gut gefallen. Besonders toll fand ich die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen das Thema Samenspende beleuchtet wurde. Das Recht hinkt einfach sehr stark hinter der Realität vieler Familien her. Die Aussagen von Frau Zypries deuten auch nicht auf einen schnellen Wandel hin. Das ist sehr schade.

Man weiß zu wenig über Kinder, die durch Samenspende gezeugt wurden. Wir planen, an unserem Institut einen Forschungsantrag für ein Projekt zu Familien, die durch Spendersamen entstanden sind, zu stellen. Diese Studie soll offen sein für alle, die zur Familiengründung reproduktionsmedizinische Maßnahmen in Anspruch genommen haben. Die Kinder aus diesen Familien sollen unbedingt auch zu Wort kommen. Es ist natürlich schwierig, an Familien heranzukommen, die das Thema in ihrer Familie nicht besprechen, d.h. in der Regel sind dies ja heterosexuelle Familien. Diese Eltern zu befragen wäre natürlich besonders spannend. Wir bleiben also am Thema dran.

RFN: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview mit Stina (33) vom Verein „Spenderkinder“

RFN: Was raten Sie einem lesbischen Paar mit Kinderwunsch, das eine Samenbank aufsuchen möchte?
Wir sagen ihnen, dass sie sich das gut überlegen sollen, die Auswirkungen auf das Kind bedenken und dass sie auf jeden Fall einen offenen Spender wählen sollten. Noch besser wäre es, einen bekannten Mann auszuwählen, mit dem schon im Vorfeld ausgemacht werden kann, welche Art von Vaterrolle er übernehmen könnte. Wir finden es schon wichtig, dass das Kind männliche und weibliche Bezugspersonen hat, aber es spricht ja nichts dagegen, dass das Kind auch drei oder vier Eltern hat. Ansonsten gibt es keinen großen Unterschied zu heterosexuellen Paaren, was wir denen sagen würden.

RFN: Sind in Ihrem Verein auch Kinder aus Regenbogenfamiien engagiert?
Ein Mitglied bei uns hat eine lesbische Mutter. Sie hat das Kind alleine bekommen, unser Mitglied ist dann später in einer lesbischen Partnerschaft groß geworden. Sie sieht das Ganze nicht anders als wir – es gab damals keine offenen Spender und das ist für uns sehr bedauerlich, ob wir nun lesbische oder heterosexuelle Eltern haben. Für uns ist überhaupt nicht entscheidend, aus welchen Konstellationen die Kinder kommen, wir freuen uns immer über neue Mitglieder.

RFN: In Ihrem Verein sind Töchter und Söhne engagiert, die keine Möglichkeit haben, etwas über die Spender herauszufinden.
Ja, das liegt an unserem Alter, wir sind ja alle schon erwachsen, teilweise auch schon über 30. Damals haben die Ärzte die Daten nur 10 Jahre aufgehoben, sie wurden quasi vernichtet, als wir etwa neun Jahre alt waren. Nun versuchen wir, teilweise über Gentests etwas herauszufinden. Damit hat sich ein Halbgeschwisterpaar gefunden, es haben sich auch schon Spender freiwillig bei uns gemeldet.

RFN: Welche Forderungen an die Politik haben Sie?
Wir fordern ein gesetzliches Auskunftsrecht für Kinder, die durch eine Samenspende gezeugt wurden. Unterlagen sollten amtlich zentral aufgehoben werden, und zwar nicht nur für 30 Jahre, sondern für sehr viel länger. Denn viele Spenderkinder erfahren ja erst im Erwachsenenalter, wie sie entstanden sind. Vorher war dies oft ein Familiengeheimnis. Dann wollen wir, dass die Unterhaltspflicht von Spendern ausgeschlossen wird. Bei lesbischen Partnerschaften ist das ja besonders schwierig, denn erstmal gibt es keinen rechtlichen Vater. Theoretisch könnte der Spender ja sofort festgestellt werden und dann ist er unterhaltspflichtig. Für lesbische Paare wäre es ohne diese Unterhaltsverpflichtung doch sehr viel einfacher.

RFN: Vielen Dank für das Gespräch!

Interview mit Dr. Lisa Green, Dipl. Psychologin, Konstanz

RFN: Du bist Expertin zum Thema Lesben und Kinderwunsch, im Vorstand vom LSVD und hast einen spannenden Vortrag gehalten. Wie war dein Eindruck von der Tagung?
Einerseits bin ich mit einem tollen Gefühl nach Hause gefahren; es war eine Reihe von sehr offenen Reproduktionsmedizinern da, die vor versammelter Mannschaft die Hand gehoben haben, als gefragt wurde, welcher der anwesenden Mediziner_innen auch Lesben behandelt. Später stellte sich heraus, dass die anwesenden Mediziner (es waren ja doch nur Männer, oder?) eine spezielle Auswahl darstellten – es sind bei weitem nicht alle so fortschrittlich eingestellt. Spannend fand ich auch, die Vertreter_innen vom DI-Netzwerk kennenzulernen, wir haben ja durchaus etwas gemeinsam. Als lesbische Mütter von Inseminationskindern sind wir für diese Heteroeltern sehr wichtig, denn wir haben ihnen ja etwas voraus – z.B. unseren Umgang mit dem Thema Aufklärung. Unser Vorteil besteht darin, dass wir völlig unbelastet an Insemination herangehen können, weil damit für uns erstmal kein Trauma verbunden ist, die Heteroeltern hingegen schleppen das Paket der Unfruchtbarkeit als etwas Negatives mit. Aber mit dem Vortrag von Stina hatte ich Probleme.

RFN: Die Position des Vereins  „Spenderkinder“ unterscheidet sich stark von deiner Einstellung?
Gut fand ich, dass der Verein die Wichtigkeit der Beziehung zum sozialen Elternteil betont und dass diese Person auf keinen Fall ersetzt werden soll. Aber ich habe ein Problem damit, dass sie den Anspruch erheben, für alle Inseminationskinder zu sprechen. Ihre Aussagen sind begrenzt auf die 50 Mitglieder ihres Vereins und sie stellen ein Extrem in der Gruppe dieser Kinder dar, indem sie sagen, mir fehlt ein Stück Identität, weil ich keine Möglichkeit habe, den Spender kennenzulernen. Diese Aussage lässt sich einfach nicht auf alle Inseminationskinder übertragen. Und ja, wir nennen unsere Kinder Inseminationskinder und nicht Spenderkinder.
Der Verein „Spenderkinder“ füttert diese ganze „nature-nurture-Debatte“. Es gibt eine ziemliche Bandbreite an Einstellungen zur Frage, ob man die genetische Herkunft der Eltern wissen muss. Wir haben noch keine klare wissenschaftliche Basis, aus der hervorgeht, dass man ohne dieses Wissen verkorkste Kinder bekommt. Aber genau diese scheinbare Wahrheit postuliert dieser Verein.
Wir bewegen uns zwischen „Ohne Wissen um genetische Herkunft kann keine positive Identitätsentwicklung vollzogen werden“ und „Die Genetik ist komplett unwichtig, Hauptsache, es gibt konstante Bezugspersonen.“ Ich denke, die Wahrheit liegt, wie so oft, dazwischen.

RFN: Das Problem liegt doch auch darin, dass wir kaum Forschung dazu haben – also Forschung über heute erwachsene Inseminationskinder aus Heterozusammenhängen.
Jein, es gibt Forschung, aber die wurde hauptsächlich im lesbischen Kontext durchgeführt. In den USA ist die Forschungslage schon ziemlich gut, was dieses Thema angeht, es gibt z.B. eine Langzeituntersuchung von lesbischen Familien, die auf 25 Jahre angelegt war. Aus dieser Studie geht hervor, dass die psychische Gesundheit der erwachsenen Kinder nicht davon abhing, ob der Spender bekannt oder unbekannt war. Eine andere Forschungsarbeit, ich glaube, sie ist von Katrien Vanfraussen, handelt vom Interesse der Kinder und Jugendlichen am Spender. Da kam heraus, dass ein Großteil der Kinder einfach neugierig ist, z.B. wie er aussieht.
Die Aussage „Mir fehlt ein Stück meiner Identität“ wurde bisher unter Kindern aus Regenbogenfamilien nicht gefunden. Sie ist ein Ausdruck einer Symptomatik, die auf einen Vertrauensbruch hinweist, der mit der mangelnden Aufklärung zusammenhängt und nicht mit der Tatsache, einen unbekannten Spender zu haben.

RFN: Sind also die lesbischen Familien Vorreiterinnen?
Ja, in jedem Fall, denn wir klären in unseren Familien auf, haben damit viele gute Erfahrungen gemacht und können deshalb als mutmachende Vorbilder dienen. Es lässt sich natürlich nicht alles eins zu eins übernehmen, aber die Heterofamilien können sich natürlich bei unseren Familien etwas abgucken, wie wir mit unseren Kindern sprechen und wie wir sie für das Coming out als Regenbogenkind stärken.

RFN: Die Lesben- und die Heterowelt sind ja sehr getrennt voneinander – diese Tagung brachte sie ein Stück näher zueinander.
Das stimmt. Im Grunde sind wir als Lesben für die Heterofamilien viel wichtiger, als es der Platz, den wir bekommen haben, vermuten lässt. Aber dafür, dass es eine Heterotagung war, waren wir inhaltlich ziemlich berücksichtigt, und das war toll. Bei der abschließenden Podiumsrunde waren wir bzw. der LSVD allerdings inhaltlich leider nicht vertreten.
Abschließend möchte ich sagen, dass mir immer wieder auffällt, dass beim Thema „Samenspender“ blind angenommen wird, dass ein Ja-Spender die Lösung für alle Probleme darstellt. Das stimmt aber nicht. Wir haben dazu noch keine Forschung. Eine Kollegin von mir hat sich ein ganzes Jahr damit beschäftigt, ob sie die Identität ihres biologischen Vaters erfahren will oder nicht. Das ist keine Kleinigkeit.
Es kommt mir immer so vor, als müsste eben unbedingt ein Vater da sein, und das schmeckt mir zu sehr nach Heteronormativität und Patriarchat. Für eine gesunde Identitätsentwicklung braucht es definitiv keinen Vater.
Im übrigen bleibt es spannend, wie in Zukunft die Eltern ihre Kinder aufklären – schließlich sind immer mehr Menschen von Infertilität betroffen. In den USA spricht man von jedem sechsten Paar, Tendenz steigend.

RFN: Vielen Dank für das Gespräch!

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