Gastbeitrag: Buchbesprechung und Zwischenruf

von B. Stenzel, Vorsitzende LesMamas e.V.

Ruediger_Cover

Ariane Rüdiger
„Es gibt noch viel zu tun …“ Macher und Macherinnen der LGBTIQ-Bewegung
Querverlag 2016

Druckfrisch liegt Ariane Rüdigers neues Buch „Es gibt noch viel zu tun …“ Macher und Macherinnen der LGBTIQ-Bewegung vor, und da ich gerade mit einer Erkältung flach lag, habe ich es in einem Rutsch durchgelesen: 36 Interviews mit Pionier_innen der Bewegung. Ariane Rüdiger wollte von ihnen wissen, wie sie die Auswirkungen der politischen und sozialen Veränderungen der letzten 30 Jahre auf die LGBTIQ-Szene einschätzen. Der Bogen der Aktivist_inn_en reicht dabei von den Mitbegründern alteingesessener Institutionen wie dem schwulen Buchladen Prinz Eisenherz in Berlin oder dem Frauentherapiezentrum in München über den engagierten Juristen des LSVD Manfred Bruns und die Sexaktivistin Laura Méritt zu der Vorsitzenden des Vereins Intersexuelle Menschen oder dem transsexuellen ehemaligen MdB Christian Schenk. Wir bekommen viel Einblick in die frühe Frauen-/Lesbenbewegung und, da Ariane Rüdiger in München beheimatet ist, wird vor allem die hiesige Szene gut abgebildet. Die Interviews lesen sich gut, die Fragen sind differenziert und abwechslungsreich und es entsteht ein spannendes Bild der Diskussionen, Kämpfe und Entwicklungen der Community seit den Aufbrüchen in den 70er Jahren. Einzig ein besseres Korrektorat hätte gut getan – einige Texte haben doch sehr viele Tipp-/Flüchtigkeitsfehler.
Die Texte entstanden in den letzten Jahren und erschienen ursprünglich unter dem Titel Alltägliche Held_innen auf der Webseite des Querverlags. Schön, dass Verlag und Autorin sich dazu entschlossen haben, die Interviews als Buch herauszugeben und damit ein Stück Geschichte, nämlich die Geschichte unserer sozialen Bewegung, in einem vielstimmigen Gespräch festzuhalten und dauerhaft zugänglich zu machen. Eine klare Lese-Empfehlung!

Schade nur, dass das aufklärerische Potential von Regenbogenfamilien wenig beleuchtet, ja, von zwei Interviewpartnerinnen sogar bestritten wird, die bedauern, dass die Familiengründung bei Lesben zum Rückzug führe. (Stephanie Gerlach, die hierzu natürlich viel zu sagen gehabt hätte, wurde zu einem anderen Schwerpunkt ihres Engagements befragt, nämlich zum Thema Arbeitswelt.) Deshalb sei mir an dieser Stelle erlaubt auszuführen, warum ich mit dieser Haltung, die Entscheidung fürs Kinderkriegen und –großziehen sei ein Rückfall ins Private, gar ein Anbiedern an heteronormative Lebensformen, so gar nicht einverstanden bin.

Mein Coming-out liegt sehr lange zurück, ich bin ein Kind der Frauenbewegung der 70er Jahre, ich habe die beiden legendären lesbisch-schwulen Kulturtage Viorosa 85 und 89 mitorganisiert, bin also Bewegungs-Weggefährtin einiger der Interviewpartner_innen, und ich sage aus ganzem Herzen, dass ich noch nie so aktiv und out war, noch nie so viel Aufklärungsarbeit in der Heterowelt geleistet habe, täglich, wie seit 14 Jahren, seit ich ein Kind habe. Ja, unsere Bezugsgruppe wechselt in dieser Phase zeitweise zu Krabbelgruppe, Kindergarten und Elternbeirat; aber was stellt ihr euch vor, dass wir da tun? Natürlich tauschen wir uns über die für alle gleichen Probleme aus, die sich mit Kindern stellen – in guter Manier des Selbsthilfegedankens, aus dem die sozialen Bewegungen, also auch unsere, entstanden sind – aber wir leisten auch ein Dauer-Coming-out und eine kleinteilige Aufklärungsarbeit über LGBTIQ-Lebensweisen. Auch unsere Kinder sind Botschafter_innen dieses anderen möglichen Lebens, ganz automatisch. Dass das für sie nicht zur Bürde wird, ist unsere Aufgabe: Stichwort Dauer-Coming-out. Genau deshalb sind wir zu dieser Vorarbeit verpflichtet – auf dem Spielplatz, mit den anderen Kindern und den Eltern, manchmal auch im Supermarkt. Das ergibt sich ständig, denn natürlich werden zu Müttern Väter dazugedacht, das heteronormative Konstrukt auf uns angewendet. Indem wir hier widersprechen – und vor allem wider-leben – lösen wir es auf: Wir zeigen am lebenden Beispiel, dass Geschlechtsrollen nicht konstituierend sind, dass Frauen Väter und Männer Mütter sein können, wenn man so will. Jedes Kind, das ein Kind aus einer Regenbogenfamilie in der Klasse hat, bei diesem ein und aus geht, lernt diese Lektion, ganz nebenbei.

Das ist für mich revolutionärer als „den bereits Bekehrten zu predigen“, wie es im Englischen heißt. Es ist Graswurzelarbeit im besten Sinne und hat mit Rückzug nichts zu tun. Ich würde mich sehr freuen, wenn das auch bei den Aktivist_inn_en ankäme, die selbst kein Interesse daran haben, Kinder großzuziehen. Unseren Gegnern scheint übrigens klar zu sein, dass wir das patriarchale Familienbild in Frage stellen, sonst würde auf obskuren Demos (nicht nur in Stuttgart) nicht so heftig gegen unsere Familien gehetzt, wäre das gemeinsame Adoptionsrecht nicht so umkämpft.

In München haben wir aus einem lange wachsenden Netzwerk lesbischer Mütter 2014 den Verein LesMamas e.V. gegründet, der großen Zuspruch findet. Hier bündeln wir Vernetzung und Austausch untereinander, auch mit den Kindern, und positionieren uns zu LGBTIQ-Themen. Wir verstehen uns als aktiven und fortschrittlichen Teil der Community.

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