Frauenleben

Immer mal wieder denke ich darüber nach, was ein Frauenleben ausmacht, worin sich Lebensentwürfe unterscheiden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Für diese Analyse bieten sich verschiedene Kategorien an. Da wäre zuallererst die Frage nach den Eltern: Vorkriegs- oder Nachkriegsgeneration? Natürlich ist das jeweilige Lebensalter der eigenen Eltern nicht allein dafür ausschlaggebend, welche Erwartungen an eine Tochter (oder an einen Sohn) gestellt werden. Doch ob die Nazizeit einen oder eben keinen direkten Einfluss auf die Erziehung der Kinder hat, kann durchaus entscheidend sein. Vielleicht gibt es Familiengeheimnisse, über die zu Lebzeiten der Eltern nicht geredet werden durfte. Das Nicht-Reden hat eine ganze Generation von Töchtern (und Söhnen) dazu gebracht, das Schweigen zu brechen und über unangenehme Wahrheiten zu sprechen.
Für die Jüngeren unter uns ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mit den Großeltern verbunden – vielleicht für das Verstehen der eigenen Biografie deshalb anders wichtig.

Eine weitere Kategorie, die lebensgeschichtlich für eine Frau interessant sein könnte, ist die Frage nach den Geschwistern. Ob Einzelkind, Nesthäkchen, Sandwichkind oder Älteste – eine Antwort häufte sich in einer nicht-repräsentatioven Umfrage unter lesbischen Frauen, die nur mit Schwestern aufgewachsen waren: „Mir war die Jungenrolle zugedacht.“ Nun glaube ich nicht, dass diese Tatsache und das Lesbischsein zwingend zusammengehören, aber interessant ist es doch, zumal ein älterer Bruder für viele Mädchen bedeutete, die klassische Mädchenrolle einnehmen zu sollen.

Kommen wir zu einem dritten Faktor, der für eine lebensgeschichtliche Verortung relevant ist: Lesbisch oder hetero oder irgendetwas dazwischen? Tja, die Konsequenz aus dieser Frage hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Bedeutete ein lesbisches Leben noch vor einigen Dekaden ein Dasein im Verborgenen, ist die lesbische oder auch queere Lebensform zwar noch nicht ganz eine gleichwertig angesehene Wahl unter vielen Möglichkeiten, doch das heutige Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz ist, historisch gesehen, bedeutsam.

Nähern wir uns schließlich einer weiteren Kategorie, die neben Ethnie und sozialer Herkunft einen entscheidenden Einfluss auf ein Frauenleben hat: Kinder oder keine? Manchmal scheint es, als ob es sich bei der Mutterschaft um eine der prägendsten Erfahrungen in einem Frauenleben handelt. Wohlgemerkt: um eine der prägendsten, nicht um eine der wertvollsten. Sondern um eine, die für viele Jahre den verfügbaren Raum auf allen Ebenen komplett ausfüllt. Früher gab es, neben ein paar Ausnahmen, in der Regel die Gleichung „lesbisch = kinderlos“, heute verlaufen mögliche Unterscheidungen jedoch quer durch alle erdenklichen Kategorien. Die Frage „Kinder oder keine“ wird immer mehr von der Lebensform abgekoppelt. Eine neue Generation von lesbischen Frauen wächst heran, für die Mutterschaft eine selbstverständliche Option darstellt. Lag noch vor 30 Jahren in der Mutterschaft „die größte Falle des Patriarchats“, ist der derzeitige Kinderwunsch-Hype  in der Queer Community eine hoch interessante Gegenbewegung. Der Trend zur Regenbogenfamilie ist ungebrochen, ein Ende ist nicht abzusehen. Wir dürfen gespannt sein.

 

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