Verkehrte Welt

Früher war alles viel einfacher. Da gab es die, die in der richtigen Partei waren und dann eben die in der falschen. Heute ist alles ein bisschen unübersichtlicher – wo der Feind steht ist unklar. Für gestandene Feministinnen war unsere Frauenministerin Kristina Schröder nach einigen wirklich peinlichen Auftritten eindeutig eine politische Gegnerin. In ihrem Buch „Danke, emanzipiert sind wir selber“ leugnet sie zum Teil die Bedeutung von struktureller Ungleichheit für die aktuelle Lage der Frauen in unserem Land. Stattdessen ist ihrer Meinung nach die mangelnde Bereitschaft von Frauen, individuelle Lösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit ihren Partnern auszuhandeln, an der unglaublichen Lohnlücke von 23 Prozent schuld – verkürzt ausgedrückt.
Aber jetzt hat Frau Schröder, sicherlich unabsichtlich, durch ihr ZEIT-Interview das Bild ein wenig verändert. Das Gespräch, insgesamt sehr harmlos, dreht sich um das Thema Erziehung. Frau Ministerin ist seit 18 Monaten Mutter von Lotte. Wenn es der Terminplan zulässt, bekommt Lotte regelmäßig ein Sprachbad in Form von Vorlesezeit. Taucht im Buch ein Begriff auf, der diskriminierend oder unpassend ist, reagiert Kristina Schröder so, wie es Regenbogenfamilien (und sicherlich nicht nur die!) nur zu gut kennen: Sie ersetzt ihn während des Lesens durch einen passenderen Ausdruck! Löblich und eine schöne Überraschung.

Um welche Begriffe es ging? Zum Beispiel um den „Negerkönig“ – diese rassistische Bezeichnung für Pippi Langstrumpfs Vater wird zum Glück heute meist durch „Südseekönig“ ersetzt. Grimms Märchen findet Frau Ministerin an vielen Stellen sexistisch. Und dann ging es noch um die Bibel:  „Der liebe Gott“ könnte eigentlich auch „das liebe Gott“ heißen, denn Gott ist doch nicht per se männlich, oder? Harmlose Beispiele für eine heutzutage hoffentlich selbstverständliche geschlechtergerechte und antirassistische Sprache.
Als unsere Tochter klein war, gab es fast keine Kinderbücher, die unsere Lebens- und Familienform auch nur annähernd widerspiegelten. So ersetzten wir permanent Worte und Personen, um unserer Tochter die Möglichkeit zu geben, sich in einer Geschichte wiederzufinden. Gerade die Erfahrung, mit seiner Familie „vorzukommen“, gehört für Kinder zu einer gelungenen Sozialisation – für viele Familien bedeutet dies stets, gängige Bücher zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Frau Schröders Umgang mit Kinderbüchern ist für Familien jenseits des Vater-Mutter-Kind-Schemas also Alltag.

Doch wie extrem waren die Reaktionen aus dem Polit-Kosmos! Gleich tonnenweise wurde Häme über Kristina Schröder ausgeschüttet, der Spott kam aus dem rechten wie dem liberalen Lager, sogar Sprachzensur wurde ihr vorgeworfen. Besonders reizend äußerten sich pikanterweise zwei Frauen: Christine Haderthauer (CSU) und Katharine Reiche (CDU): „Verkopfter Quatsch“ und „Der liebe Gott bleibt der liebe Gott“. Der ganze Hass gegenüber feministischen und antirassistischen Positionen hat mal wieder deutlich gemacht, dass Political Correctness immer noch Aggressionen auslöst und zwar beileibe nicht nur bei den Konservativen. Passend dazu setzte sich der grüne OB von Tübingen, Boris Palmer, nämlich auch noch in Szene: Er findet an den „Mohrenköpfle“ einer Tübinger Konditorei nun wirklich nichts Schlimmes („Rassismus sollte man da bekämpfen, wo er wirklich ist“). Hier die Dokumentation des Briefwechsels zwischen Boris Palmer und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD).
Verrückt – die Welt war wirklich schon mal übersichtlicher!

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