Homophobiiiiieeee! Johannes Kram: Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …

Der heutige Beitrag bezieht sich auf etwas, mit dem wir uns alle herumschlagen müssen: mit Homosexuellenfeindlichkeit, meist Homophobie genannt. Der Journalist Johannes Kram, Betreiber des Nollendorfblogs, hat darüber ein sehr kluges Buch geschrieben, das ich euch ans Herz legen möchte. Es heißt „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber ….“ und ist im Querverlag erschienen. Der Autor versucht anhand vieler Beispiele zu ergründen, warum die „schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft“ viel schwerer zu bekämpfen ist, denn wer hat denn heutzutage tatsächlich noch etwas gegen Schwule? (An dieser Stelle verzichte ich auf den Vorwurf, die Lesben mal wieder unsichtbar gemacht zu haben, denn Johannes Kram ist sich dieser Genderungerechtigkeit sehr wohl bewusst).

Also wenn in der ZEIT oder im SPIEGEL homophobe Kommentare von aufgeklärten liberalen Leuten stehen, die nun „wirklich nichts gegen Homosexuelle haben“, dann wird es richtig herausfordernd. Denn wenn es „von denen“ kommt, dann kann es ja gar nicht homophob sein. Seit der Eheöffnung ist es eigentlich noch schwieriger geworden, Homophobie zu entlarven. „Was wollt ihr denn jetzt noch – ihr habt doch nun wirklich alles“ – ein Satz, den viele, auch liberale Heteros und Heteras raushauen, wenn wir ihnen durchdeklinieren, wie homophob durchdrungen unsere Gesellschaft noch immer ist. Dass nur etwa ein Drittel aller Homosexuellen am Arbeitsplatz komplett out ist. Dass Jugendliche im Coming out in der Regel in der Schule keine Unterstützung bekommen, sondern Mobbing befürchten müssen. Dass Regenbogenfamilien beweisen müssen, dass auch sie „Familie können“ und mittels Stiefkindadoption erst einmal vom Staat dafür durchleuchtet werden. Warum regen sich darüber eigentlich keine Heteros auf?  Mit dem Satz „Was wollt ihr denn jetzt noch?“ stellen sie sich über uns – sie finden, sie haben uns nun genug Würde und Rechte gegeben, jetzt reicht es einfach. Ihr könnt heiraten, also seid endlich still.

Schauen wir uns doch mal den Hintergrund dieser nicht gesamtgesellschaftlich stattfindenen Debatte aus der Sicht des Autors an. Er vergleicht den Stand der Dinge in anderen Ländern mit dem in unserem Land und zeigt uns die Konsequenzen daraus auf. Den Anfang macht das Buch mit der Feststellung, dass wir alle, wirklich alle, homophob sind. Das ist zwar nichts Neues, aber dennoch immer wieder wichtig, uns vor Augen zu führen, dass z.B. jede Werbung es schafft, innerhalb von 20 Sekunden ein heteronormatives Weltbild zu erschaffen und dass es unmöglich für queere Menschen ist, sich als gleichwertig zu erleben, wenn man in der Regel nicht vorkommt oder wenn doch, dann als Objekt in einem homofeindlichen Witz.

Bald darauf zeigt uns Johannes Kram eindrucksvoll, dass die Gründe für das gesamtgesellschaftliche Schweigen um gleiche Rechte versus Homophobie und das lange Festhalten am Paragrafen 175 in unserer Geschichte liegen und in einer seither nicht stattgefundenen Aufarbeitung. Nach 1945 wurde nämlich weiterhin starr daran festgehalten, Homosexuelle zu verfolgen und den Paragrafen 175 nicht zu entschärfen oder gar zügig abzuschaffen. Dass dieser erst im Jahre 1994 endgültig gestrichen wurde –  in Frankreich ist Homosexualität seit 1791 entkriminalisiert, in den Niederlanden seit 1811, Polen 1932, Dänemark 1933, Schweiz 1942 – und noch 1962 Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Lockerung strikt ablehnte, zeigt, dass es keinerlei großangelegtes Interesse gab, mit der menschenverachtenden Praxis der Homosexuellenverfolgung Schluss zu machen. Das ist der eigentliche Skandal – denn wie ein Staat mit seinen sog. Minderheiten umgeht, gibt immer Aufschluss darüber, wie es um die Demokratie, Weltoffenheit und Freiheit des jeweilgen Landes steht. Und wenn sich ausgerechnet darüber niemand groß aufregt und dieser Skandal kein wirklich breites Medienecho bekommt, dann ist das kein Zufall, sondern hat System.

Ein weiteres Beispiel, dass unser Land, was Homothemen angeht, echt „komisch“ ist, lässt sich rund um die Eheöffnung gut veranschaulichen. Als die USA diesen historischen Schritt vollzog, hielt der damalige Präsident Obama eine Rede, in der er ausführte, warum dadurch sein Land zu einem besseren Land wurde. Er war stolz! Und wie kommentierte unser Staatsoberhaupt Frank Walter Steinmeier diesen längst überfälligen Schritt im Sommer 2017: GAR NICHT!

Das mit dem Stolz ist nämlich auch so eine Sache, wie Johannes Kram aufzeigt: Pride, der Stolz, soll ja eine Gegenkraft sein zur Scham, die wahrscheinlich alle Lesben, Schwule und Queers ob ihrer Lebensform schon einmal empfunden haben, ein scheußliches Gefühl, dem in der Emanzipationsbewegung seit 1969 der Stolz als heilende und stärkende Kraft gegenübergestellt wird. Sich schämen, weil man von anderen herabgesetzt wird. Sich schämen, weil man „anders“ und damit irgendwie schlechter ist. Sich schämen, weil man erpressbar sein könnte.

Es ist wirklich eine Schande, dass Deutschland nicht stolz auf seine Eheöffnung ist, sondern sich eher schämt. Nach dem entsetzlichen Anschlag in Orlando 2016, der sich gezielt gegen die LGBTIQ-Community richtete, war unsere Regierung nicht in der Lage, diesen Angriff als das zu benennen, was er war: ein gezielter Angriff auf unsere Community. Warum nicht? Es war die Scham.
Frau Merkel könnte sich ein Beispiel nehmen an Kanadas Premierminister Justin Trudeau, der sich 2017 aufrichtig bei der LGBTIQ-Community für die jahrzehntelang erlittene Diskriminierung entschuldigte. Was wäre das für ein Zeichen, es könnte ein Beginn einer wirklich neuen Zeitrechnung sein. Aber nein,
Deutschland findet auch einen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie nicht wichtig. Die Aufnahme der Kategorie der sexuellen Identität/Orientierung in Artikel 3 des Grundgesetzes ist längst überfällig.

Warum regt euch Heteros das eigentlich nicht wahnsinnig auf? Warum versteht ihr unseren Kampf nicht auch als euren? So lange keine wirkliche Aufarbeitung und keine wirklich große Debatte um Homophobie und die Überwindung dieses historischen Traumas gelingt, solange wird es auch in der Mitte der Gesellschaft homophob wabern. Und die AfD freut sich.

Lest das Buch, es lohnt sich! Und sprecht dann mit euren Freund*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen und Familien darüber.

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